Best of… 2010 – oder: „Wo wart Ihr, als die Hölle zu gefrohr?“

„Well, I guess hell froze over…“ – …jap. Damit dürfte bereits am vierten Tage des Jahres eigentlich alles gesagt sein. Auch den wortgewandtesten Vertretern bei World Wrestling Entertainment sollte klar sein, dass sie sich die Hoffnung auf das Zitat des Jahres getrost abschminken konnten. Schon blöd, gerade gegen jemanden zu verlieren, der für vieles in seiner Karriere legendär wurde – für übermäßige Micskills und legendäre Zitate aber ganz bestimmt nicht. Das einzig Relevante, was uns Bret Hart in seiner Karriere über Jahre hinweg mitteilte war eigentlich dieser arrogante Käse mit diesem „Ich war so toll, ich bin so toll und werd’s auch immer sein. Ätsch.“-Gesabbel. Und jetzt haut er so ein Ding raus. So bedeutungsschwer, vielsagend und der Situation so unglaublich angemessen. Da fällt es schon schwer, im ersten Monat des Jahres nach Konkurrenz zu suchen, was die Anwärter in der Zitate-Division angeht.
„Who let the Dogs out…. Who, who, who…!”, ja, okay, der war auch nicht schlecht. Und in jedem anderen Monat, in jedem anderen Jahr wären The Great Khali und Teddy Long damit gaaanz weit vorne gelandet. Und ja, natürlich, Chris Jericho‘s Kommentare vom Ringrand bei der ersten NXT Staffel waren allesamt uneingeschränkt großartig („Look at Wade Barrett!“ – „W are doing…“ – „MORE!“). Dass der Heartbreak Kid Shawn Michaels das Gebäude verlassen hat, dieser Satz ist episch und „…and I quote“ machte aus einem bedeutungsarmen Kommentator einen neuen Godfather. Doch das Zugefrieren der Hölle, das bleibt konkurrenzlos. Und noch mehr. War doch jahrelang Vince McMahon’s heißgeliebter Ausspruch „Anything can happen in the World Wrestling Federation!“ einer der Leitsätze seiner Unternehmens- und Endproduktkultur, scheinen die Worte des Hitman doch viel prägender und zeitgemäßer in Ihrer Bedeutung zu sein, obwohl sie im Kern dasselbe aussagen. Denn: Man hat schon Pferde kotzen sehen – und ganz ehrlich, noch vor wenigen Wochen hätte mich der Anblick eines kotzenden Pferdes weit weniger überrascht, als ein Bret Hart, der sich und Erzfeind Shawn Michaels inmitten eines WWE-Rings eine freudige Umarmung spendiert. Spätestens in dieser Situation war klar, dass hier eben nicht bloß ein Kaltblüter das Rückwärts-Frühstücken erlernt hat, sondern eben, ja, die Hölle zugefroren sein muss. Eigentlich ist das auch nur fair. Warum sollen wir hier oben auf der Eroberfläche auch die einzigen sein, die sich seit Wochen das Gesäß abfrieren. Und damit herzlich willkommen zum Besten. 2010.

 

Road to WrestleMania… oder „Alle wollen den Undertaker“

Wenn’s nach mir ginge, könnte immer Road to WrestleMania sein. Und Weihnachten, Geburtstag und Fußball-WM. Monatelang kriegt es WWE nicht auf die Reihe, vernünftige Storylines speziell bei RAW zu verfassen und plötzlich scheint der Knoten zu platzen, nur weil in wenigen Wochen wieder diese ganz spezielle Show ansteht. Ein unglaublich schwerwiegender Faktor in dieser alljährlichen Phase ist The Undertaker in den vergangenen Jahren geworden. Konnte man sich 2006 noch erlauben, den Deadman gegen eine ungefährliche Figur wie Mark Henry antreten zu lassen, wurde es ab da an regelrecht zum Volkssport bei WWE, wenn es um die Suche nach einem Herausforderer für den Rekordhalter bei WrestleMania ging. Das geht schon so weit, dass man sich fragen muss, was denn heutzutage das größere Achievement für einen Wrestler ist – bei WrestleMania um einen großen Gürtel zu kämpfen oder den Undertaker in dessen Streak zu bedrohen? Shawn Michaels beantwortete Anfang des Jahres diese Frage und mit ihm noch Männer wie Rey Mysterio, Batista, Triple H und der Totengräber höchst selbst. Mit dem Heartbreak Kid ging am 31.01. jemand in das Royal Rumble Match, dem der zu gewinnende Titelkampf vollkommen schnuppe war. Er wollte den Undertaker. Dieses Szenario war der Wahnsinn. Natürlich war klar, dass man niemals so einen Wind um die Sache machen würde, wenn man am Ende nicht eh vorhätte, die Wiederauflage von WM25 zu bringen, aber obwohl der Ausgang klar schien, freute man sich als Fan auf jeden einzelnen weiteren Schritt, der uns dort hinführte, wo er uns hinführte. Und das war ein WrestleMania-Headliner für die Ewigkeit. Das war der Kampf, der es mir und dieser Kolumne erübrigte, eine „Matches des Jahres“-Rubrik zu bringen, da es jedes Match, das im selben Atemzug wie dieses genannt werden würde, in dessen Wucht unterginge.
Die Road to WrestleMania im Jahr 2010 wurde getragen von einem Kampf, der alles einrahmte. Er ebnete das World Title Match zwischen Chris Jericho und Royal-Rumble-Gewinner Edge, er band Rey Mysterio ein, genau wie er Batista einband. Und am Ende war es fast egal, ob nun das Animal seinen Kampf gewann oder John Cena ihn um das Gold besiegte – wichtig war nur der Main Event und der war auf eine spannende Art und Weise vorbereitet, dass man glauben konnte, man hätte Damon Lindelof als Gastschreiberling bei World Wrestling Entertainment gewinnen können. Alle wollten den Undertaker. Und Shawn hat ihn bekommen. Geil.

Aber auch auf den Nebenkriegsschauplätzen arbeitete WWE kräftig auf seinen Jahreshöhepunkt zu. Was da sehr untypisch anmutete und eigentlich fast gar nicht ins Muster passte, war die Tatsache, dass mit Sheamus ein total unerfahrener Mann in der Rolle des WWE Champions auf WrestleMania zuzurudern schien. Okay, mit seiner Pigmentierung hat er in der zugefrorenen Hölle den Vorteil nahezu unsichtbar zu sein, aber dennoch passte er nicht ins Bild. WWE hatte zwar bewiesen, dass man in letzter Zeit gerne auch mal auf Außenseiter in den Main Events setzte, nicht zuletzt auch im Jahr 2010, aber bei WrestleMania verstand man da in der Regel bisher relativ wenig Spaß. Wenn man sich jetzt die Teilnehmer der RAW-Chamber ansah, dann hatte es doch echt fast den Anschein, dass man Sheamus den Spot geben wollte. Randy Orton und Ted DiBiase Jr. würden sich miteinander beschäftigen. Kofi Kingston, sollte er es denn dieses Mal bis in den Ring schaffen, würde wohl an der Entscheidung ebenso unbeteiligt sein. John Cena hatte für WrestleMania schon ein anderes Date und damit blieb Triple H als letzte Alternative. Aber auch der bräuchte ja einen Gegner, sollte er dem Iren den Titel abnehmen können. Und wer außer Ronald McDonald käme da in Frage? Edge? Och nö. Big Show? Bitte nicht. Wie man es drehte und wendete – die aktuellen Anzeichen sprachen alle für The Game und Sheamus, wer auch immer den Gürtel gerade tragen würde. Ja, und mit einem Big Name wie Triple H an seiner Seite, war Sheamus plötzlich tatsächlich gangbare Alternative. Er war es schließlich, der es schaffte, so grün er hinter den Ohren auch war, dass das Publikum den Monsterheel der vergangenen Monate Randy Orton plötzlich anfeuerte. DEN Bösewicht schlechthin machte nicht zuletzt Sheamus zum neuen Top-Face des RAW-Brands und tatsächlich war es plötzlich Alternative, den weißen Iren in ein Championtitelmatch bei seiner ersten WrestleMania zu setzen. Doch auch hier schrieb die Geschichte ja eine andere Story. Cena gewann das Gold in der Chamber, Batista holte es sich im direkten Anschluss als Belohnung für seine Bret-Hart-Attacken und das große Match der beiden Neuzeit-Ikonen war mit dem Gürtel belegt, während der keltische Krieger und der King of Kings ohne Gold aufeinander einprügeln mussten.

Aber auch im blauen Brand verstand man es, im Jahresstart an die Erfolge des Vorjahres anzuknüpfen. Smackdown erlebte 2009 den Sommer seines Lebens. Nach dieser Zeit war den Bookern wirklich alles zuzutrauen – wenn es jemand schaffen würde, dann diese Jungs, da war ich mir sicher. Sie schafften es, Rey Mysterio auch bei Smartmarks wieder höher in den Kurs zu bringen, sie machten Batista wieder annähernd unterhaltsam und sie pushten CM Punk zur Ausnahmeerscheinung. Doch jetzt, im neuen Jahr, hatte man sein Meisterwerk abgeschlossen. Und dieses wähle ich absichtlich aus einer Seitenstraße, denn nur das unterstreicht das große Können, welches die Booker (leider nur noch bis zur Jahreshälfte) beweisen durften. Sicherlich war die Fehde zwischen Michelle McCool und Mickie James keine Offenbarung im Vergleich mit intelligent gebookten Fehden der Jungs – ein Traumschloss ist aus Stein und Zement aber halt auch weitaus einfacher zu bauen als aus Scheiße. Man muss eben In- und Output vergleichen. Wenn man nicht bloß das Ergebnis betrachtet, sondern mal schaut, mit welchen Zutaten man dies gebacken hat, dann gehört die bestimmende Fehde um den Women’s Title des ersten Halbjahres hier ebenso auf diese Liste wie Christoph Waltz auf die Liste der Oscar-Nominierten gehörte. Mickie James ist der Wahnsinn, natürlich – eine große Entertainerin war sie aber nie. LayCool waren gerade erst geboren und hatten noch lange nicht den Über-Status, den sie im Laufe des Jahres erreichen. Somit war Michelle McCool noch der weibliche Antichrist und Layla war zwar scharf, aber nahezu farblos. So wie Sambal-Creme. Dazu addierte sich noch der fast nicht vorhandene Status der Women’s Division und die Übersättigung der Charaktere. Und doch bewiesen die Herren Booker, dass es auch möglich war, aus diesen Eingangsparametern etwas zu zaubern, das unterhält und das einem wirklich die Frage stellen ließ, ob sämtliche gefallene Kritik an der Division und allen beteiligten Charakteren bei ihnen selber tatsächlich richtig platziert war. Denn mit dem richtigen Skript funktionierte es plötzlich wunderbar und die eingeschränkten Zutaten haben einen richtig leckeren Kuchen ergeben, bei dem Mickie’s Titelgewinn das Sahnehäubchen war. Surfend auf dieser Erfolgsstory musste dringend etwas unternommen werden, damit Damenwrestling nicht plötzlich zu etwas wie Belang bei World Wrestling Entertainment gelangen würde. Aber auch hier hatte das Booking schnell die rechten Mittel parat und in einem Drei-Stufen-Plan ließ man zunächst Vickie Guerrero einen Frog Splash bei WrestleMania zeigen, dann entließ man Mickie James und schließlich verschmolz man den legendären Women’s Title in den Diva’s Title. Und dann war da ja noch…

 

We are wild an young…

Genau, NXT. Und was hat diese Sendung das Gesamtbild von World Wrestling Entertainment in 2010 nicht verändert – und das obwohl es doch eigentlich nur eine unbedeutende Talentschmiede abseits der WWE’schen Storylinegefüge war. ECW, so sollte man meinen, hatte doch da einen viel größeren Einfluss. Und genau da, beim extremen Brand, begann auch die Erfolgsgeschichte von NXT. Denn die ECW musste weichen, der hochgelobte Brand, der alles hatte, was das Fanherz erwärmte: Gute Storylines, talentierte Rookies, tolles Wrestling… und William Regal. Doch Vince McMahon schwebte eine Vision im Kopf herum, die das Unterhaltungsfernsehen revolutionieren sollte und genau für diese Revolution musste Extreme Championship Wrestling weichen. Ok, was man uns dann präsentierte, revolutionierte das Wrestlingbusiness dann wohl kaum mehr als die deutsche Musikindustrie durch Lavive, Mehrzad Marashi und diese X-Factor-Frau revolutioniert wurde, aber es bot ab der ersten Stunde reichlich Gesprächsstoff. Mehr oder weniger unbekannte Jungstars bekamen – mehr oder weniger – etablierte WWE-Superstars an die Seite gestellt und mussten sich durch die Show kämpfen, um am Ende einen WWE-Vertrag und einen Titelkampf zu gewinnen. Bei der Bekanntgabe der Teilnehmer stand die Internet Community Kopf – denn ausgerechnet Smartmark-Ikone Bryan Danielson bekam als Pro The Miz zur Seite gestellt. DEN The Miz, diesen Trottel, aus dem niemals etwas bei WWE werden würde. Der sollte das wohl talentierteste Stück Fleisch im gesamten Roster coachen? Dass das ein gutes Ende nahm, das wissen wir heute, aber auch damals, als das noch nicht abzusehen war, da sorgte es im Wrestlingbusiness zumindest für die notwendige Publicity.
Ein Mann namens Wade Barrett gewann und tauchte bereits am nächsten Montag bei RAW auf, um für die unbestrittene Szene des Jahres und einen wahren und absolut großen Gänsehautmoment zu sorgen – und wohl gemerkt, diesen Titel der Szene des Jahres vergebe ich in dem Jahr, in dem sich Shawn Michaels und Bret Hart im Ring umarmten. Der Nexus war imposant geboren und führte World Wrestling Entertainment in ein neues Zeitalter, denn fortan drehte sich fast ausnahmslos alles nur um dieses Stable. Dieses total neuartige Stable – denn wann in der Geschichte tauchten schon mal acht, bzw. wenig später nur noch sieben gänzlich unbekannte Typen auf und mischten das Geschehen ohne jegliche Unterstützung eines etablierten Gesichts? Der Nexus schrieb Geschichte und auch wenn einiges, besonders die Cena-Entlassungs-Story, an einigen Stellen, ich sag „optimaler“ hätte gebookt werden können – so war es doch eine Revolution. Eine Revolution durch NXT und nicht weniger hatte uns Vince McMahon versprochen.

Während die Herren Nexus bei RAW wüteten wuchs in der zweiten NXT-Staffel eine nächste Brut heran. Wieder gab es mit Kaval einen Indie-Superstar, den man mit idiotischen Pros belegte. Es gab aber auch neben ihm bestechendes Talent zu beobachten. Michael McGillicutty und Husky Harris schafften es nach dem Ende der Staffel bis in den Nexus und damit an die Spitze der Storylines, Alex Riley sonnte sich im Schatten des bis zum Zerbersten aufblühenden Miz und Leute wie Percy Watson blieben zumindest nachhaltig in Erinnerung.
Anmoderiert hatte ich diesen Absatz aber nicht umsonst mit dem „Und dann war da ja noch…“-Cliffhanger, der direkt an den 3-Stufen-Plan zum Untergang der Damen-Division anschloss. Denn Staffel drei war schließlich und endgültig das, was Vince McMahon mit NXT bezweckte. NXT Staffel 3 wird für immer legendär sein und es war eine verdammte Revolution. Eine Comedyshow im Wrestlingring, mit den Hauptdarstellern Goldust, Vickie Guerrero und allen voran natürlich Michael Cole, bei der die Rookie Divas nie mehr als Statisten waren. So sehr das natürlich dem Konzept der Show widersprach – genau diesen Umstand machte NXT3 so erfolgreich. Schubkarrenrennen mit Hornswoggle, die mit Abstand miesesten Matches des Jahres, In-Ring-Leistungen die selbst Braden Walker und Kenny Dykstra hätten belächeln können, eine Hochzeit mit Familienreunion der Rhodes-Bande sowie der DiBiases. All das war die dritte Staffel von NXT und all das war, eben, die Revolution dieses Business. Oder? Es steht nirgends, dass eine Revolution alles in ihren Grundfesten verbessern muss, oder? Eben. Aber so schräg, kurios und gruselig die Show auch war – irgendwie hat sie uns doch in ihren Bann gezogen. Auf… irgendeine… kranke Art und Weise.

 

Wer hat noch nicht, wer will noch mal?

Das Pushen von Jungstars war selten wichtiger als in 2010. Denn selten hatte man so viele etablierte Namen verloren wie in diesen 12 Monaten – Batista und der Heartbreak Kid hängten ihre Stiefel gänzlich an den Nagel, Chris Jericho tat dies zumindest für den Moment. Triple H musste über ein halbes Jahr pausieren und auch aufstrebende Männer wie CM Punk konnten den Staffelstab verletzungsbedingt nicht vollständig übernehmen. Es blieben nur noch der Undertaker, Randy Orton, John Cena und Edge – ein Quartett, mit dem, abgesehen von Deadman-Cena, schon jede Konstellation bis zum Erbrechen ausgereizt war. Die Devise war also das Schaffen neuer Stars und gleich der erste war jemand, den wohl wirklich absolut niemand als einen der Aufsteiger des Jahres auf dem Schirm gehabt hat – die Rede ist von Michael Cole. Aus Cole machte man, nicht zuletzt durch seine Wutausbrüche bei NXT, die Telefonate während des Kommentierens und der Fehde mit Daniel Bryan, die wohl wichtigste und einflussreichste Nebenfigur des gesamten Unternehmens. Kein Bret Hart, kein Teddy Long und nicht einmal Vince McMahon konnten ihm in seiner Bedeutung als Non-Wrestling-Charakter das Wasser reichen . Mit Cole machte man wirklich ausnahmslos alles richtig und zeigte, wie bedeutsam eine solche Randerscheinung für eine Show als Ganzes doch sein kann – so gestanden beispielsweise viele, NXT nur noch geschaut zu haben, weil Michael Cole am Mikro saß. Ja, und auch ich wurde zum Cole Miner und ja, auch mir ging einer ab, ihn als Geist der gegenwärtigen Weihnacht im Weihnachtssegment von The Miz zu sehen.
Womit wir beim eigentlichen Thema dieses Absatzes sind. Denn Cole war wie gesagt nur eine kleine Randnotiz. The Miz hingegen war so sehr viel mehr, dass man ihm alleine eine 5.000-Wörter-Orgie widmen könnte und eigentlich auch sollte. The Miz war immer der kleine Trottel, der es niemals zu etwas bringen würde. Als er damals bei einem Cyber Sunday in das ECW Titelmatch gewählt wurde, hielt ich es tatsächlich für einen Scherz vieler Internetfans – so wie damals, als man den Klassentrottel zum Klassensprecher gewählt hatte, nur um zu sehen, wie er sich dabei noch blöder anstellt. Sowas war The Miz. Der Depp des Locker Rooms, dem aus irgendwelchen Gründen das unbeschreibliche Glück zuteilwurde, ein Team mit John Morrison bilden zu dürfen. Ja, DEM John Morrison, dem Next Big Thing, für den ein Team mit diesem Reality-Show-Dämlack nur eine Überbrückungsphase war. Ganz sicher. Denn auch wenn sich The Miz ganz gut machte, war doch von vornherein klar, dass es John Morrison sein würde, der am Ende nach dem Split mächtig durchstarten würde. Äääk. The Miz arbeitete, The Miz unterhielt, The Miz sägte am Stuhlbein des Chris Jericho als kommendes Total Package und er gewann den WWE Title noch bevor John Morrison dem Gürtel überhaupt nah genug kommen konnte, um sich darin zu spiegeln. So simpel und plump diese „I’m The Miz, and I’m awesome!“-Catchphrase auch ist – in kaum einer steckt wohl so viel Wahrheit wie in dieser. Groß gepustet, das hat er im Vorfeld, aber er hat’s gehalten.

Doch Mizanin war lange nicht der Einzige, der aus dem Nichts plötzlich an der Spitze stand und das wird besonders deutlich, wenn man sich die Riege der Namen ansieht, die 2010 Major Championships gewannen:
- Sheamus – noch ein Jahr vorher gänzlich unbekannt, wurde bei ECW als farbloser (ha!) Squash-Heel eingeführt und war plötzlich bei RAW WWE-Champion und führte den Brand auch bei Regentschaft Nummer 2 problemlos an. Jetzt ist er zweifacher WWE-Champion, amtierender King of the Ring und gleichwertiger Herausforderer auf einen zurückkehrenden Triple H. Sheamus erzählte uns vielleicht DIE Erfolgsgeschichte des Jahres neben dem Mann, über den schon so viel gesagt wurde:
- The Miz – gewann Money in the Bank und galt selbst da noch als der erste, der den Shot erfolglos wird einsetzen müssen. Aber nein, der Klassendepp wurde zum Vortanzer und auch wenn ein Kevin Nash in ihm und seiner Regentschaft den ultimativen Beweis dafür sah, dass Wrestling Fake ist, sprach doch hier ganz bestimmt kein Kenner des Business und der Talente aus ihm als mehr ein Neider, dessen beste Zeiten weit hinter ihm lagen.
- Jack Swagger – bei ECW als große Nummer gefeiert, ging es für ihn nach dem Trade zu Smackdown immer weiter bergab. Eigentlich bekam er ausnahmslos nichts mehr auf die Reihe und gesellte sich damit zu gescheiterten Hoffnungsträgern wie Mr. Kennedy, John Morrison oder MVP. Dann aber plötzlich, als ihn wirklich niemand auf dem Schirm hatte, gewann er bei WrestleMania Money in the Bank und keine Woche später den World Heavyweight Title. Was das sollte, ist heute aber ähnlich unklar wie die Rechtfertigung der noch immer andauernden Anwesenheit von Regierungs-Top-Heel Guido Weserwelle – denn nach seinem Titelgewinn fiel Swagger wieder in das Loch, aus dem er einst gekrochen war (und um eine politische Grundsatzdiskussion zu vermeiden, spare ich mir den an dieser Stelle so kribbelnden erneuten Vergleich zum Außenminister).
- Rey Mysterio – gut, der war schon Mal World Champion, qualifizierte sich dabei aber nicht unbedingt laut schreiend für eine Wiederholung. Doch die gab es 2010 und auch diese verstand ich nie so richtig. Mysterio verletzte den Undertaker kurz bevor er pausieren wollte – und bekam als Dank, sozusagen als eine Art orton’sche Bestrafung, den World Title. Pure Willkür, wenn Ihr mich fragt.
- Kane – what the…!? Das toppte ja wohl alles. Jahrzehnte schrien wir nach einem Titelrun für die Big Red Machine, doch nie kam es dazu. Und dann PENG – plötzlich waren es nicht Drew McIntyre oder gar Christian, die den blauen Koffer pflückten, sondern unser aller liebster ehemaliger Zahnarzt, der nur knapp 90 Minuten wartete, bis er das Köfferchen gegen den World Title eintauschte und uns dadurch von obenstehendem Willkürprodukt befreite. Wie damals nach CM Punks erstem Titelgewinn – in einem Jahr, in dem Kane World Champion wird, da kann eigentlich alles passieren und das dem so war, zeigte ja spätestens The Miz.
Und selbst Chris Jericho durfte mal wieder ran und so kam es, dass der World Title mal gerade knapp 60 Tage in diesem Jahr von einem der Top4 (Undertaker, Randy Orton, John Cena und Edge) gehalten wurde und auch den WWE Title hatten mehr als die Hälfte des Jahres die Newbies inne. Da stellt sich natürlich die brennende Frage, wer dem Beispiel von Miz, Sheamus, Kane und Swagger im nächsten Jahr folgen könnte und ganz oben auf der Liste stehen da wohl die Gesichter von Drew McIntyre, Dolph Ziggler und Wade Barrett, wobei auch die Facefraktion um Christian oder gar Kofi Kingston spätestens dank der Zwei-Koffer-Regelung mit auf dem Blatt Papier stehen sollten.

 

Vermissen oder Vergessen?

Wie jedes Jahr präsentierte uns WWE 2010 eine gute Portion Frischfleisch. Hauptsächlich über die neue NXT-Plattform, die vielversprechendes Material wie Daniel Bryan, Wade Barrett oder Husky Harris hervorbrachte. Aber auch über den klassischen Weg, über den uns beispielsweise Alberto del Río erreichte, dessen Einführung in die WWE-Shows als wahres Meisterwerk bezeichnet werden kann. Del Rio ist bereits nach wenigen Wochen der absolute Kandidat für den Main Event und niemand scheint sich daran zu stören.
Der Rotstift wütete im Gegenzug natürlich auch 2010 mal wieder gewaltig und neben freiwilligen Abgängen wie denen von Shawn Michaels, Chris Jericho oder Batista traf es auch in diesem Jahr mal wieder unzählige Zeitgenossen, die ihre Papiere nehmen mussten. Große Überraschungen, besonders da sie in einem Atemzug genannt wurden, waren da ganz bestimmt Mickie James und der großartige Shelton Benjamin, die beide ganz eindeutig in die Kategorie derer gehören, die wir schmerzlich vermissen werden. Aber auch großes Talent musste gehen, allen voran der immer so dermaßen unter Wert verkaufte Paul Burchill oder auch sein Fehdengegner Gregory Helms, die uns bei ECW über Wochen großartig unterhielten und als Dank aus dem Rückfenster grüßen durften. Ohne Männern wie Drew McIntyre oder Sheamus zu nahe treten zu wollen – aber alles was man mit ihnen tat, hätte Paul Burchill mindestens ebenso gut ausfüllen können. Selbst Pushs wie der von Ezekiel Jackson oder gar Vladimir Kozlov, der das Jahr immerhin als Champion verlässt, waren doch nun wirklich nicht so schwierig zu booken, als dass man das für einen vor Talent so sprühenden Paul Burchill nicht auch hätte schreiben können. So kam es auch, dass einstige Upper-Midcarder wie MVP oder Carlito die Lust verloren und freiwillig um ihre Papiere baten. Zum Schluss waren sie dermaßen zerbookt, dass sie trotz ihres Potenzials keinerlei Lücke hinterließen. Gleiches gilt für Matt Hardy, dessen Entlassung fast wie ein Befreiungsschlag wirkte. Mit ihm war man etwas wie ein Geschwür losgeworden, das immer weiter wuchs mit jeder zusätzlichen jämmerlichen Aktion seinerseits, die seine Entlassung erzwingen sollte. Ob er wohl selber überrascht ist, heute, da keiner mehr „We want Matt!“ ruft, so wie es damals nach seiner ersten Entlassung der Fall war? Und so wie es ausschaut ruft dies ja nicht mal die einzige Person, von der Matt es wirklich erwartet hatte, Dixie Carter.
Und dann waren da noch die Abgänge all derer, die wir vielleicht maximal als „schade“ empfanden, die als wirtschaftliche Entscheidung aber aus heutiger Sicht durchaus nachvollziehbar sind, da sie keinerlei Loch hinterließen. Mit Charlie Haas konnte WWE noch nie etwas anfangen, mit Kaval wollte man es wohl einfach nicht. Luke Gallows und Ex-Partner Slam Master J waren gimmicktechnische Totgeburten und zu Shad Gaspard fällt einem eigentlich nur auf, dass JTG auf der Liste unverständlicher Weise noch fehlt. Mike Knox war eine große Überraschung, weil er sich überhaupt so lange hielt, ähnlich wie die asiatischen Dauerjobber Funaki und Jimmy Wang Yang. Und eines dürfte klar sein: Spätestens nächstes Jahr kann sich niemand mehr daran erinnern, wer Caylen Croft, Vance Archer oder, wie hieß er doch gleich,…, ja, Eric Escobar überhaupt waren. Oder erinnert sich heute etwa noch irgendwer an DJ Gabriel, Kizarny oder, jetzt kommt’s, Gavin Spears? Siehste.

 

…and I quote…

Doch in so einem Jahr mit seinen vier regelmäßigen Shows, unzähligen PPVs und Specials passierte natürlich noch so einiges mehr. Und wenn man sich vor Allem mal die Bedeutungsschwere der Top-Ereignisse des Jahres ansieht, dann wird man feststellen, dass 2010 ganz bestimmt an vielen Stellen in die Geschichte eingehen dürfte. Der Abschied des Größten in diesem Business, Shawn Michaels, allen voran. Aber natürlich auch die Geburt und die Dominanz des Nexus, sowie das niemals für möglich gehaltene Bret Hart Comeback oder die sensationell beschissen gebookte Entlassung von John Cena. All das waren große Ereignisse, bei denen man die Kleinigkeiten oft vergisst – nicht aber heute, denn diese 25 Randnotizen sind in 2010 alle noch passiert. And I quote:

- Jack Swagger und Rey Mysterio nahmen ein Bad im Golf von Mexiko.
- Edge verprügelte neben einigen Superstars 2010 auch einen Vogel und ein Notebook.
- Erstmals fanden in einem Jahr drei Money-in-the-Bank-Ladder-Matches statt und alle Gewinner gewannen den Gürtel durch Einlösen des Koffers.
- Bret Hart gewinnt den US Title. R-Truth auch.
- RAW schließt mit einem Traum von Stephanie McMahon, bei dem Vince McMahon aus dem Koma erwacht und die aktuellen Ereignisse im WWE-TV nicht verkraftet.
- Vier ehemalige NXT-Teilnehmer gewannen 2010 Championship-Gold. Die Gewinner der Staffeln zählten nicht dazu.
- Mike Tyson bekannte sich nach vielen Jahren wieder zur dX und verpasste Chris Jericho einen rechten Haken.
- Linda McMahon kassierte eine knappe Wahlniederlage obwohl Ihr Ehemann zu „Stand up for WWE“ aufrief.
- The Big Show nahm an einem Diva-Bullriding-Contest teil.
- Der Undertaker gewann kein einziges PPV-Match, außer bei WrestleMania und dem Royal Rumble.
- CM Punk, Joey Mercury und John Cena trugen aus unterschiedlichen Gründen Masken.
- WWE wurde tanzbar: Michael Cole tanze mit den NXT-Rookie-Divas, während Vladimir Kozlov ein Dance-Off gegen Santino Marella gewann. Guest Host David Hasselhoff tanze nur mit Eve Torres. Und Maria, Diva des Jahres 2009, die tanzte ab.
- Während Teddy Long’s Probezeit ein weiteres Jahr andauerte, hatte RAW nach dem Ende der Guest-GMs drei feste General Manager: Bret Hart, den anonymen GM und für einen Abend Vickie Guerrero.
- Sheamus verliert den WWE Title 2 Mal in Matches mit fünf Gegnern.
- Luna Vachon, Lance Cade und Bastion Booger starben. Ludvig Borga und Chris Kanyon bereiteten ihrem Leben freiwillig ein Ende.
- Jerry Lawler stand in seinem ersten WWE Title Match.
- Paul Bearer kehrte überraschend zurück und turnte gegen den Undertaker.
- Die The Legacy zerbrach, genau wie die Hart Dynasty und die The Straight Edge Society.
- Aloisia wurde entlassen, bevor sie überhaupt einmal auftrat und bekam damit mehr Publicity als der Großteil ihrer Kolleginnen.
- Chavo Guerrero spielte einen Adler und wurde von Hornswoggle erschossen.
- Ted DiBiase Jr. brachte den Million Dollar Title zurück und geriet in eine Fehde mit Goldust.
- WWE führte ein dreistündiges Old School RAW durch, bei dem u.a. der Brooklyn Brawler, Sgt. Slaughter, Harvey Whippleman und Mae Young auftraten.
- Ezekiel Jackson gewann den ECW Title in der letzten Ausgabe der Show von Christian.
- Vince McMahon spuckte im WWE-TV auf Bret Hart.
- Das Angry Miz Girl pusht The Miz sehr offensichtlich unfreiwillig in den Olymp.

 

Am Ende steht ein „N“.

…, denn gerade als man den Nexus tot glaubte präsentierte uns das RAW-Team eine Wendung und stellte uns CM Punk als neues Mastermind vor. Das bietet natürlich massig Gesprächs- und Storylinestoff, um die größte Geschichte des Jahres auch in 2011 noch fortzuführen. Wie es auf den anderen Baustellen weitergeht ist hingegen vollkommen offen. Aber im positiven Sinne. Denn unterm Strich war das ein ziemlich gutes Jahr für den Fan von World Wrestling Entertainment und das auch, wenn das Booking nicht an allen Stellen durchgängig optimal war. Abwechslungsreicher war ein WWE-Jahr aber wohl schon seit der Attitude-Ära nicht mehr – man hat uns unterhalten. Unterhalten mit alten Gesichtern wie Paul Bearer, Virgil oder Bret Hart. Unterhalten mit neuen Gesichtern wie Alberto Del Rio, Tyler Reks oder Daniel Bryan. Und man präsentierte uns mit NXT eine zwiespältige Show, die aber eben wegen dieser Zwiespältigkeit immer wieder dazu führte, dass wir einschalteten und darüber diskutierten. Mit dem Nexus debütierte das mächtigste Stable seit Ewigkeiten, während ihr Vorgänger, die D-Generation X [2] ihre Abschiedsvorstellung gab. Neue Stars wie The Miz oder Sheamus wurden geboren und nahmen den Staffelstab von den gehenden Batista und Shawn Michaels entgegen. Anfang des Jahres ließ der Hitman die Hölle zugefrieren, Ende des Jahres ließ Kane sie wieder lichterloh brodeln.
2010 – da muss einfach für jeden etwas dabei gewesen sein. Aber natürlich auch für jeden etwas, dass ihm nicht passte. Man befriedigte die unterschiedlichsten Ansprüche und trat dabei nur selten auf der Stelle. Das ist großes Entertainment, das ist die Kunst, der es bedarf eine so große und heterogene Zielgruppe einzufangen – das war 2010 bei World Wrestling Entertainment und ich fand, dass es gut war. Am Ende war es tatsächlich so wie Wade Barrett es zementierte – man war Nexus oder man war dagegen. Man mochte diese neue Ausrichtung oder man entfernte sich vom Produkt. Am Ende stehen über diesem Jahr dann aber zwei dominante Symbole: ein großes schwarzes auf gelbem Untergrund gemeißeltes „N“ – und eine Legende in rotem Hemd und Cowboyhut, die den Massen, die ihn groß machten, zum Abschied winkt.
In diesem Sinne winke auch ich und wünsche allen ein großartiges 2011!
Ben